Mittwoch, 26. Oktober 2011

Auswärtiges Amt - Mobilität im Auswärtigen Amt


Die Bereitschaft, alle drei bis vier Jahre den Arbeitsplatz zu wechseln, verlangt den Bediensteten des Auswärtigen Amts und ihren Familien viel ab. Lesen Sie, wie ein Diplomat im Vorbereitungsdienst das Bewerbungsverfahren für den ersten Posten erlebt.

New York, Rio, Togo?! Mobilität im Auswärtigen Amt

Es gibt Tage, an denen sich auch die fleißigsten Attachés nicht so recht auf die Seminarinhalte konzentrieren können. Ein solcher Tag ist die Veröffentlichung der "Vakanzenliste".
In grauer Vorzeit, als das Zusammenleben der Menschen noch planlos und unorganisiert verlief, kam ein schlauer Zeitgenosse auf die Idee, wie diesem Chaos Einhalt zu gebieten sei. Es war eine geniale Erfindung, die alles bis dato Dagewesene veränderte, und ihr Erfinder gab ihr die Bezeichnung "Liste".

Es wird jedoch auch immer wieder von Fällen berichtet, in denen Listen Ihrer Bestimmung nicht gerecht werden konnten und gerade das verursacht haben, was sie doch eigentlich vermeiden sollten: Chaos! Ein solcher Fall ereignete sich auch im Juli 2011 in der Akademie Auswärtiger Dienst in Tegel.

Ein Attaché entdeckte eines Morgens die berühmte sogenannte "Vakanzenliste" im Intranet und damit begann eine Lawine unaufhaltsam alles mit sich reißend gen Tal zu rollen.

Die meisten Bediensteten des Auswärtigen Amts erwartet alle drei bis vier Jahre eine neue Arbeitsstelle – meistens verbunden mit einem Umzug ins Ausland oder einer Rückkehr nach Berlin.

Im Spätsommer jedes Jahres gibt das Personalreferat des Auswärtigen Amts eine Liste mit den im nächsten Sommer freiwerdenden Posten im Auswärtigen Amt und an den deutschen Auslandsvertretungen bekannt.

Aus dieser Vakanzenliste wählt dann jeder Mitarbeiter, der zur Versetzung ansteht, seine "Wunschposten"  und reicht diese beim Personalreferat ein.

Nach mehrmonatiger Abstimmung der Neubesetzungen, die auch die familiäre und gesundheitliche Situation der Mitarbeiter berücksichtigt, wird der neue Arbeitsplatz etwa ein halbes Jahr später bekannt gegeben.

Zum so genannten "einheitlichen Versetzungstermin" im darauffolgenden Sommer wechseln dann circa 2000 der insgesamt über 6000 Mitarbeiter weltweit den Arbeitsplatz. Auch die Attachés – die Anwärter im höheren Dienst – bewerben sich während des Jahres ihrer Ausbildung "auf die Liste" und fiebern dann dem ersten In- oder Auslandsposten entgegen.

Ein Gemurmel, aus dem manches Mal Satzfetzen wie "Mexiko gleich dreimal" oder "Rio ist gar nicht dabei!" die ansonsten eher träge Stille des Raumes durchdrangen, waren Boten einer zumindest für uns neuen Zeit; einer Zeit, in der wir uns aufmachten, unsere Zukunft zu planen (oder zumindest die kommenden drei Jahre).

A, B, C oder Krisenposten?

Die "Liste" verhieß hierbei eine ungewöhnliche Zukunft in einer scheinbar anderen Welt: Lag in dieser Vakanzenparallelwelt doch Bogotá gleich neben Belgrad, New York neben Nikosia und Skopje und Mexiko-Stadt fanden sich in derselben mysteriösen Kategorie B wieder. So mancher ertappte sich dabei, wie er Traumposten liebevoll mit dem Leuchtstift hervorhob, während er ungeliebte Posten mit Missachtung strafte oder im Stillen bei sich dachte: "Da soll mal schön jemand anderes hingehen, ich ganz bestimmt nicht!"

Im verregneten deutschen Sommer flüchtete sich der ein oder andere in Gedanken unter argentinische Sonne, fuhr sich lässig durchs Haar, den Geschmack von Matetee fast auf der Zunge spürend, während der Nachbar an all die spannenden Begegnungen dachte, die er wohl an der Ständigen Vertretung in Brüssel machen würde und daran, dass sein Französisch bis dahin noch irgendwie - und zwar möglichst bald - einen Quantensprung hinlegen möge.

Der Arbeitsplatz- die Welt © picture-alliance/dpa
Der Arbeitsplatz- die Welt
© picture-alliance/dpa
Wieder ein anderer phantasierte über die Abenteuer, die wohl in Afrika auf ihn warten würden, wohl wissend, dass er das seiner Frau und dem Kleinen unmöglich zumuten konnte; während die ledigen Kollegen unter uns ein Jahr in Kabul oder Bagdad auf sich zukommen sahen (Man ist ja nicht gebunden, da ist doch ein Krisenposten kein Problem, oder?).

Das Chaos, begleitet von einem zuvor ungekannten „Postenrausch“, war da. Die Lawine hatte 40 Jungdiplomaten auf der Halbinsel Reiherwerder mitten im Hochsommer unter sich begraben.

Posten-Shopping im Intranet

Doch natürlich ließ auch die Ernüchterung, die bekanntlich auf jeden Rausch folgt, nicht lange auf sich warten, denn in so manch stillem Augenblick beschlich einige – zumindest mich - doch das Gespenst des Zweifels: Möchte ich wirklich drei Jahre meines Lebens in Kinshasa verbringen? Bin ich bereit für La Paz? Ho-Chi-Minh-Stadt, wirklich? Jeder von uns hat schon einmal im Ausland gelebt, kennt sich in anderen Kulturen aus, aber traue ich mir das alles zu? Und schließlich gibt es auch in Berlin in der Zentrale sehr interessante Tätigkeiten - und in drei Jahren kann man dann immer noch die Welt entdecken.


Und nun? Die Karawane ist weiter gezogen, die Liste auf elektronischem Wege abgegeben, die Lawinenopfer konnten lebend und wohlbehalten geborgen werden und befinden sich auf dem Wege der Besserung, ohne dass bleibende Schäden zum jetzigen Zeitpunkt entdeckt worden wären.

Das Crewboot ist wieder in ruhiges Fahrwasser zurückgekehrt, zumindest bis beim ersten der 40 Attachés eine Mail, in der um Rückruf zwecks Besprechung der von der Personalplanung getroffenen Versetzungsentscheidung gebeten wird, ihren Weg in den Dienstmailposteingang findet. Oder das Personalreferat gleich auf dem Handy anruft.

Stand 25.10.2011

 

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